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Über die erlernte Unfähigkeit miteinander zu sprechen

In einem Versuch das Chaos im Büro zu reduzieren oder zu vermeiden wird eine schlaue Liste von Dingen erstellt, die es zu berücksichtigen gilt. Ein Punkt davon zitiert den Satz “Don’t live with broken windows!” und enthält einen Link auf die Wikipedia-Definition der Broken-Windows-Theorie. Es folgt eine kurze Interpretation und deren Konsequenz für das Büro (Dinge wie “Räume dein Geschirr in die Spülmaschine”). Die Broken-Windows-Theorie ist die Grundlage für die Nulltoleranzstrategie der Polizeiarbeit in vielen Ländern. Konkret wird hier bei jeglicher Zuwiderhandlung von geltendem Gesetz mit allen Mitteln durchgegriffen. Man darf sich an dieser Stelle fragen, ob man Parallelen zwischen den eigenen Kollegen und Kriminellen aus einer Studie ziehen sollte. Tatsächlich besagt der Wortlaut der Theorie allerdings etwas geringfügig anderes, denn die Zerstörung von Fenstern wird dort erst als zweiter Schritt in einer Kette genannt, welche zum Verfall eines Stadtgebietes führt. Auf diesen Fakt weist und Eric Klinenberg in einem Ausschnitt aus seinem neuen Buch “Places for the People” hin. Denn vor den zerstörten Fenstern wird ein Grundstück nicht mehr gepflegt und verwildert.
A piece of property is abandoned, weeds grow up, a window is smashed. 
Klinenberg weist auch auf Studien hin, welche zeigen, dass enorme Erfolge allein dadurch erreicht werden können, dass sich die Stadt um verlassene Grundstücke kümmert und diese in Schuss hält. 
Mit diesem Wissen zerfällt die Analogie, mit der sich ein vermeintlich schlauer Autor in unsere Liste von Dingen verewigt hat, die das Büro sauber halten sollen. Denn jemand der eine Tasse stehen lässt, ist genauso wenig mit einem Drogenhändler vergleichbar, wie ein Büro mit einem verwahrlosten Stadtbezirk, welchen man mittels Nulltoleranzstrategie in den Griff bekommen möchte. Letztlich ist die sinnvollste Strategie einen Stadtbezirk zu “resozialisieren” einen Landschaftsgärtner einzustellen und nicht etwa 20 neue Polizisten, welche eine Nulltoleranzstrategie forcieren.

Es ist offensichtlich, dass sich unser Autor weder intensiv mit der Theorie selbst, noch mit deren Konsequenzen beschäftigt hat, bevor er diesen Satz schrieb. Im ersten Moment erscheint die Analogie sogar hilfreich, denn es ist für jeden leicht nachvollziehbar, dass bestehendes Chaos dazu verleitet in kleinen Schritten noch mehr Chaos hinzuzufügen. So kann man zumindest den Berg von Geschirr und Besteck in der Spüle erklären, obwohl die Spülmaschine bereits fertig gelaufen ist und man mit minimal mehr Aufwand diese Dinge auch in besagtes Gerät befördern könnte. Die gleiche Aussage kann allerdings auch in zwei Sätzen verständlich kommuniziert werden, ohne auf Wikipedia zu verweisen oder sich selbst mit seiner vermeintlich scharfsinnigen Kombinationsgabe zu brüsten. Nur warum verwenden wir ständig derartige Referenzen? Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir uns jederzeit so unterhalten würden, dass jeder Außenstehende mitsprechen kann, ohne sämtliche Referenzen des Gesprächs zu kennen? Mit dieser Frage beschäftigen sich die folgenden Abschnitte.

Es ist nicht einfach sich so zu verständigen, dass man verstanden wird. Es gibt unzählige Beispiele, um diese These zu belegen. Ein einfaches Beispiel aus der Informatik sind die Entwurfsmuster. Es ist viel einfacher zu sagen, dass man ein Strategie-Muster verwendet hat, als zu erklären, wie die abstrakten Basisklassen oder Interfaces mit den Klassen zusammen spielen. Allein dieser letzte Satz enthält so viele Fachbegriffe, dass die wenigsten Personen ohne Informatik-Hintergrund ihn verstehen werden. Wir verwenden ständig kontextbezogene Fachbegriffe, selbst wenn das nicht notwendig ist. Wir verwenden Abkürzungen und besagte Referenzen, welche nicht jedermann geläufig sind. Wir tun dies, weil wir selbst einen möglicherweise komplexen Sachverhalt verstanden haben und diesen in möglichst kurzer Zeit zu unseren Gesprächspartnern übertragen möchten. Das tun wir häufig völlig ungeachtet davon, ob dieser die Referenzen kennt, verstanden hat oder gleichermaßen interpretiert.

Ein anderes Beispiel: Es wurde versucht dem Autor dieses Artikels zu erklären, dass die Erkenntnisse aus den Daten einer Agentur nicht zwingend einer anderen Agentur zur Verfügung stehen. Konkret wurde hier von “Insights” gesprochen, welche die eine Agentur besitzt, die andere jedoch nicht. Nur auf Nachfrage konnte geklärt werden, dass “Insights” mit dem Wort “Erfahrungswerte” gleichzusetzen ist. Hier handelt es sich um einen Anglizismus, der noch recht leicht zu verstehen ist, sofern man der englischen Sprache mächtig ist. Doch bereits hier wird man als Laie bei hoher Frequenz von gleichartigen Ausdrücken schwierigkeiten haben, einer Konversation zu folgen. Es ist schwierig zu erklären, warum wir Fremdwörter in unserer Kommunikation verwenden, wenn es ein gleichwertiges und deutlich verständlicheres deutsches Wort für den gleichen Sachverhalt gibt. Möglicherweise wollen wir uns selbst von der Masse abheben und individueller sein. Es ist aber auch denkbar, dass wir aufgrund unseres zunehmend sprachlich durchmischten Wortschatzes schneller auf das Fremdwort kommen und dieses verwenden, als kurz nachzudenken, wie man die gleiche Aussage wirklich verständlich transportieren könnte.

Mit zunehmendem Wissen wird es leichter, sich so auszudrücken, dass man nicht mehr verstanden wird. Tagtäglich prasselt neue Information auf uns ein und wir verinnerlichen, was uns interessiert oder was wir meinen zu benötigen. Aus der puren Information wird Wissen in unseren Köpfen. Mit diesem neuen Wissen ist es leicht eine unverständliche Aussage gegenüber jemandem zu machen, der das gleiche Wissen nicht hat. Nun sind alle Menschen verschieden und nur ein kleiner Teil des Wissens der Menschheit wird in den Bildungsstätten überhaupt erlernt. Daraus folgt, dass Wissen hochgradig ungleich verteilt ist und die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu treffen der das gleiche Wissen hat, faktisch gleich null ist. Dennoch gehen wir viel zu häufig und irrtümlich davon aus, dass unser Gegenüber Wissen bereits hat oder er es sich im Nachgang besorgen wird. Leider sind es diese zwei Fehlannahmen, die zu sehr vielen Missverständnissen führen. Es ist nicht selbstverständlich dass Gesprächspartner an einem Gespräch derart interessiert sind, dass sie alles nachschlagen, was in einem Gespräch erwähnt wurde. Viel häufiger werden die Aussagen genommen, welche verstanden wurden und auch nur diese verwertet. Wir schaden uns also primär selbst, wenn wir uns so ausdrücken, dass wir nicht leicht verständlich sind.

Es lässt sich zusammenfassen, dass unsere Kommunikation unverständlicher wird, je länger wir in einem bestimmten Kontext die sprachlichen Eigenheiten und Begriffe erlernen. Ähnlich gesinnte Personen (aka Kollegen) verstärken diesen Effekt, da sie die gemeinsame Sprache verbindet. Für alle anderen wird es zunehmend schwieriger den Gesprächen dieser Gruppe zu folgen. Je länger wir also der gleichen Tätigkeit nachgehen, die einen bestimmten Wortschatz verwendet und prägt, desto mehr erlernen wir die Fähigkeit uns so auszudrücken, dass uns außerhalb unserer Gruppe niemand versteht.

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